„In the middle of the chest, slightly to the right“ – Der Ort an dem das „Ich“ zu Hause ist

 

Yoga intensive Retreat in Mexiko

 

In mir brodelt es. Ich sitze am Boden im Schneidersitz und versuche mich mit aller Macht zu konzentrieren ­– auf meinen Atem, meine noch nicht vorhandene Wunschlosglücklichkeit, mein innerstes Selbst. Aber dieses Selbst ist leider grade ziemlich hibbelig. Meine Gefühle, die ich bisher so wunderschön verdrängt habe, wollen an die Oberfläche. Am liebsten würde ich tief einatmen und einfach mal laut schreien. Nur dummerweise befinde ich mich mit 30 weiteren Meditierenden in einem Raum. Ein lautstarker Gefühlsausbruch kommt mir da etwas unpassend vor. Also rutsche ich unruhig auf dem Boden hin und her und versuche diese nervigen Gefühle „einfach da sein zu lassen“.

Mittlerweile ist es 7 Uhr morgens und die Sonnenstrahlen fallen durch das Ostfenster der Halle, tauchen den Raum in ein orange-goldenes Licht. Eigentlich wunderschön, wenn ich nach dem frühen Aufstehen nicht so verdammt müde wäre. Außerdem ist der harte Boden mehr als unbequem und vom langen Sitzen tut mir alles weh.

Die morgendliche Stille wird von den Schreien exotischer Vögel durchbrochen und ich schrecke von meiner innerlichen Achterbahnfahrt auf. Wie gerne wäre ich jetzt ein Vogel und würde einfach davonfliegen. Tja, funktioniert bekanntlich leider nicht und so sitze ich weiter bei der Morgenmeditation im Hridaya Yoga Zentrum in Mexiko.

Mitten während meiner Reise habe ich mich dazu entschieden, einen einmonatigen Intensiv Yoga- und Meditationskurs zu machen. Ich hatte das dringende Bedürfnis Zeit mit mir zu haben und dann hat mich irgendetwas nach Mazunte gebracht, einem kleinen Hippiedorf an der Südküste Oaxacas.

Dieser Ort verändert einen, sagen die Leute, und er holt die Menschen zu sich, die bereit dafür sind. Im Moment fühle ich mich allerdings alles andere als bereit. Und sooo viel Zeit mit mir hatte ich mir nun auch wieder nicht vorgestellt. Kurz bin ich versucht aufzustehen und einfach zum nahgelegenen Strand zu gehen, als genau in diesem Moment unsere Lehrer das Schweigen bricht: „Ich fühle, dass es für einige von euch grade schwer ist. Gebt nicht so einfach auf. Kehrt immer wieder zu euch zurück, irgendwann findet ihr den Weg.“ Na toll, ernsthaft? Jetzt kann ich ja wohl schlecht gehen. Also fange ich wieder an ruhig zu atmen und richte meinen Fokus nach Innen – um genau zu sein, ein klein wenig links von der Mitte meiner Brust, da wo angeblich das Herzcenter liegt, das zu Hause meines „wahren Selbst“.

 

 

Who am I?

Hridaya Yoga lehrt eine besondere Form von Hatha Yoga, bei der nicht der physische Körper im Vordergrund steht, sondern der Weg des „spirituellen Herzens“. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Herzcenter Meditation und der Methode der „Self inquiry“, also der Frage „Wer bin ich?“. Durch stetige Praxis findet man dadurch den Zugang zu seinem Innersten.

When the Asana becomes a meditation

Jede Asana soll so zu einer kleine Meditation werden und somit zu einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst. Die Ausführungen der einzelnen Übungen sind eher langsam, werden dafür aber überdurchschnittlich lange gehalten.

Das kann einen bei über 35 Grad ganz schön ins Schwitzen bringen. Genauso wie dieses „Herzchakra“ erst einmal zu finden. Oft kann das, wie in meinem Fall, ein bisschen dauern und diverse Trotzreaktionen hervorrufen. Wie sich herausstellt ist Geduld nicht unbedingt meine Stärke.

Nach der täglichen Morgenmeditation folgen die obligatorischen zweistündigen Yogastunden am Vor- sowie Nachmittag und vor dem Abendessen gibt es noch einmal Lesungen, die einen tieferen Einblick in die Philosophie der Yogatradition geben sollen. Wer dann immer noch nicht genug hat, kann am freiwilligen Abendprogramm teilnehmen. Ganz schön viel Input und Selfwork also, aber zum Glück ist man damit nicht alleine.

Mit jeder Woche wird die Praxis tiefer aber das Leben leichter. Ich gewöhne mich langsam an den Rhythmus und nutze die Zeit mehr und mehr, die Umgebung kennenzulernen. Allem voran natürlich die zahlreichen Schildkröten, die das Wahrzeichen des kleinen Städtchens Mazuntes sind. Früher wurden sie hier gefangen und gegessen, heute stehen sie unter Naturschutz. An unserem freien Tag fahren wir früh morgens mit dem Fischerboot auf das offene Meer hinaus. Als ich die ersten Schildkröten im Wasser sehe, kurz gefolgt von dem Auftauchen eines Wales, ist der Muskelkater komplett vergessen.

Nach einer anstrengenden Yogastunde lasse ich mich in einem traditionellen Temazcal – einer Art reinigenden Sauna – von Rauch und schamanischen Gesängen in andere Welten entführen oder bestaune von hohen Felsen die blutroten Sonnenuntergänge am Punta Cometa, der südlichsten Spitze Nordamerikas. Am Abend flaniere ich mit den anderen über lebendige Straßenmärkte, bewundere mexikanisches Kunsthandwerk und probiere mich durch lokale Leckereien wie Tlayudas oder dunkler Schokolade, dem Gold Oaxacas.

Die letzten Tage allerdings verlangen mir noch einmal alles ab. In der dreitägigen Schweigemeditation dürfen wir weder Reden noch sonst in irgendeiner Weise mit der Welt kommunizieren. Nicht mal ein Lächeln oder Augenkontakt sind erlaubt, vom Handy ganz zu schweigen. Wir sollen uns wirklich vollkommen auf uns konzentrieren, uns von nichts ablenken. Vor allem aber bedeutet es noch mehr Meditation und Yogapraxis.

Es ist wirklich eine sehr intensive Zeit. Ich gehe durch lange, schwierige Stunden, in denen mein Rücken schmerzt, ich einfach nicht mehr mit meinen Emotionen allein sein will und kurz davor bin aufzugeben. Doch dann sind da immer wieder im richtigen Moment die unterstützenden Worte des Lehrers und ich erlebe unglaublich schöne, innige Momente mit mir selbst. Eine Nähe, die ich so noch nie gespürt habe. Und am Ende habe ich es plötzlich geschafft. Knappe vier Wochen sind vorbei, die mir viel länger vorgekommen sind.

Ich habe tolle Freundschaften geknüpft und unglaublich schöne Eindrücke von Land und Leuten bekommen. Viel über Yogatraditionen und noch mehr über mich selbst gelernt. Und auch wenn die Zeit kein Spaziergang war, so war sie doch sehr bereichernd.

Die Zeremonie am Ende ist der krönende Abschluss und ein wundervoller Abend. Jeder, der durchgehalten hat bekommt ein Zertifikat und damit die Möglichkeit das nächste Modul zu belegen, oder das erste noch einmal zu wiederholen – umsonst, so oft man möchte.

Das ist ein weiterer Punkt, der mir hier gut gefällt – man merkt, dass es wirklich um die Sache geht. Denn um jedem die Chance zu geben sich eine spirituelle Auszeit zu nehmen, funktioniert das Zentrum als gemeinnützige Organisation. Angelehnt an die traditionelle Yogaphilosophie ist die Foundation nicht profitorientiert und finanziert sich viel über Spenden und gemeinnützige Arbeit. Die Kurse sind im Vergleich zu anderen Retreats dementsprechend günstig. Außerdem kann man sich um ein mehrmonatiges Karma-Yogi Programm oder um zusätzliche finanzielle Unterstützung bewerben. Und wer nicht die weite Reise nach Mexiko antreten will – gerade wird auch ein Zentrum in Frankreich eröffnet.